Schnell war uns nach unserem Bergsteigerkurs im Sommer 2015
klar, dass es für uns noch höher hinausgehen muss. Daher beschlossen wir Anfang
Februar 2016 den Hochtourenkurs im Juli am Großglockner zu buchen. Wie es sich
für eine gute Tourenvorbereitung gehört, schauen wir vorab nach der
Wettervorhersage. Uns trifft fast der Schlag: Windgeschwindigkeiten bis zu 60
km/h, starker Schneefall und gefühlte Temperaturen bis -20 Grad. Ein kurzer
Blick auf die bereitgelegten Sachen reicht und uns ist augenblicklich klar, wir
sind für den Winter nicht ausgerüstet. Hektisch kaufen wir Primaloft- und
Daunenjacken und hoffen, dass uns die vielen Schichten übereinander gezogen
warm halten werden.
Am 13.07.2016 steigen wir vom Parkplatz Lucknerhaus (1.920
m) zur Stüdlhütte (2.802 m) auf. Es nieselt und zwischendurch kommt mal der ein
oder andere Regenguss. Die Wiesen sind grün und die Alpenblumen blühen. Mir
kommt der Gedanke, dass das Wetter vielleicht gar nicht so winterlich wird, wie
vorhergesagt. Doch je höher wir steigen, desto größer werden die einzelnen
Schneefelder. Zu allem Überfluss fängt es auch noch an zu gewittern. Die
anderen geben jetzt richtig Gas, um schnellst möglich die Hütte zu erreichen.
Denn Gewitter in den Bergen sind, weil man am Berg häufig als höchster Punkt
fungiert, durchaus gefährlich. Aber ich kann nicht schneller. Mein Rucksack hat
mit der vielen Ausrüstung (Steigeisen, Eispickel, Eisschraube und viele
Klamottenschichten) ein Gewicht, das mich einfach nicht schneller laufen lässt.
Die drängenden Zurufe der anderen helfen auch nicht gegen den schweren Rucksack und statt
schneller werde ich immer langsamer. Angst habe ich keine, dafür bin ich
inzwischen mit mir und meiner Leistung viel zu unzufrieden und ich denke
bockig, dann soll mich doch der Blitz treffen. Tut er aber nicht, ich komme
ziemlich durchnässt aber heil auf der Stüdlhütte als Letzte an.
Am nächsten Tag ist das Wetter nicht viel besser. Es
gewittert zwar nicht, aber es schneit und stürmt. Zum Glück gibt es einiges an
Theorie zu lernen und so knoten wir eifrig den Achter, den Mastwurf und den
Sackstich (http://www.kraxl.de/knoten.html). Gedanklich richte ich mich auf einen
gemütlichen Hüttentag ein. Aufgrund der Höhe habe ich auch nicht gut geschlafen
und ein ruhiger Tag wäre für mich völlig in Ordnung gewesen. Doch Franz, unser
Lehrer, hat andere Pläne. Für ihn gilt, es gibt nicht nur gutes Wetter am Berg
und so geht es raus. Draußen herrscht tiefster Winter. Der Sturm pfeift uns um
die Ohren und die Flocken fallen so dicht, dass man nicht weiter als einen
Meter gucken kann. Ich bin dankbar, dass wir in einer Seilschaft gehen, denn
ich habe bereits nach einigen Metern keine Orientierung mehr. Das Wetter macht
mir zu schaffen. Mit jeder Sturmbö geht mir Energie verloren und ich bekomme
schnell Hunger. Doch die Bedingungen lassen keine Pause zu. Also stapfen wir
weiter. Ich komme mir vor wie auf Expedition am Everest. Schnell haben wir alle
eine Eisschicht im Gesicht und uns läuft ununterbrochen die Nase. Ich gebe
irgendwann auf die Nase hochzuziehen und lasse mir stattdessen vom Sturm
helfen. Inständig hoffe ich, dass es niemanden trifft der hinter mir geht.
Das winterliche Wetter bleibt uns auch die nächsten Tage
treu. Mal mit mehr und mal mit weniger Schnee gepaart mit mal mehr oder weniger
starkem Wind üben wir den Umgang mit Steigeisen und Pickel, lernen
Gletscherspaltenbergung und Orientierung im Gelände. Wir „stürzen“ uns alle todesmutig
am Seil befestigt in Gletscherspalten und lassen uns von den anderen mittels
der losen Rolle „retten“. Es ist ein zu Beginn ein mulmiges Gefühl an der
Eiswand zu hängen und metertief nichts weiter als Eis und Schnee zu erblicken. Man
hofft eindringlich, dass die Retter nicht irgendwas falsch knoten und man plötzlich
im ewigen Eis verschwindet. Doch die Seilschaft hat alles unter Kontrolle und man
kann Ruhe die faszinierende Schönheit der gefrorenen Welt betrachten. Glücklicherweise
beehrt uns die Sonne einmal für einen kurzen Moment und lässt das Eis in
wunderschönen verschiedenen Blautönen leuchten.
Das Wetter raubt mir weiterhin die Kraft. Obwohl ich Hunger
habe fällt mir das Essen auf fast dreitausend Meter Höhe schwer. Ich begehe den
Fehler und lasse mich von meiner Appetitlosigkeit daran hindern ordentlich und
viel zu essen. Bestraft werde ich mit einer schlechten Leistung und
Kraftlosigkeit. Mich beschleicht das Gefühl, dass ich vielleicht für Hochtouren
nicht gemacht bin. Die Besteigung des Großglockners im Anschluss an den Kurs
scheint mir nicht möglich. Franz scheint diese Sorge nicht zu teilen, für ihn
steht fest dass ich mitkomme. Er trichtert mir ein, dass ich viel Essen muss,
auch wenn es mir schwer fällt und so quäle ich mich am Abend vor der Besteigung
des Großglockners durch alle Menügänge.
Am nächsten Morgen ist früher Vogel angesagt. Um fünf sitzen
wir alle bereits mit Hüftgurt bekleidet beim Frühstück. Ich schaufle so viel
wie möglich in mich hinein. Müsli, belegte Brote und Obst. Pünktlich um halb sechs
starten wir. Natürlich darf das winterliche Wetter nicht fehlen und so haben
wir wieder ordentlich Wind und bei der Kletterei zur Erzherzog-Johann-Hütte auf
der Adlersruhe (3.451 m) auch wieder Schnee. Auf der Erzherzog-Johann-Hütte
legen wir eine Pause ein. Diese Nutze ich für einen Apfelstrudel, um den
Energiespeicher wieder zu füllen. Danach geht es weiter über schmale Grade zum
Kleinglockner und weiter hinauf zum Großglockner. Bei Sturmböen von bis zu 50
km/h über schmale Grade zu balancieren fordert einiges an Mut. Aber niemand von
uns zögert und so kommen wir bald am Gipfel an. Oben sind wir in eine dichte
Wolkendecke gehüllt. Die Sicht beträgt vielleicht drei Meter. Mir ist das egal.
Ich habe es geschafft und bin zum ersten Mal mit meiner Leistung zufrieden. Für
mich ist die Bergsportwelt wieder heil. Wir machen Gipfelfotos und freuen uns
gemeinsam über das erreichte Ziel. Kaum beginnen wir den Abstieg reist die
Wolkendecke über uns auf. Plötzlich ist der Himmel strahlend blau und die Sonne
wärmt uns. Die Aussicht ist atemberaubend. Wir stehen über den Wolken und
können an mancher Stelle bis ins Tal gucken. Ich bin so hin und weg, dass ich
aufpassen muss nicht vom Grad zu segeln und bemühe mich trotz überschwänglicher
Freude auf den Abstieg zu konzentrieren.
Weitere Eindrücke von unserer Besteigung des Großglockners
findet ihr unter http://peakture.de/bergtourenportal/grossglockner%20hochtour.html
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